Wir sehen nur, was wir sehen

Wir haben nicht nur einen tatsächlichen blinden Fleck im Auge, wir haben auch blinde Flecke in unserer gesamten Wahrnehmung unserer Welt, unserer Zeit, unserer Arbeit etc. 

Die Informationslücken durch den blinden Fleck im Auge werden durch das Hirn gekonnt aufgefüllt. Die blinden Flecke in der Wahrnehmung unseres Seins aber können uns auch Steine in den Weg legen, indem sie etwas verhindern, das uns eigentlich weiterbringen würde.

Hier ein kleines Beispiel, das den blinden Fleck in unserer generellen Wahrnehmung wunderbar beschreibt:

Im zweiten Weltkrieg hat die britische Royal Air Force bei den Kampfflugzeugen die Stellen zusätzlich gepanzert, die die meisten Einschusslöcher hatten. Macht Sinn, oder? Nein, macht keinen Sinn. Denn das Militär konnte ja nur die Flieger untersuchen, die es nach Hause geschafft haben. Die Flieger, die abgeschossen wurden, konnten sie nicht mehr anschauen. Dabei wurden doch gerade diese an einer so empfindlichen Stelle getroffen, dass sie abstürzten. Und genau diese Stellen hätte man besser schützen sollen – nicht die anderen Stellen, die die Einschüsse überstanden haben.

Wir fokussieren uns so sehr auf das, was da ist, dass wir häufig das, was nicht da ist, komplett vergessen. Und genau diese Stellen zu erkennen, würde den entscheidenden Unterschied machen.

Wie geht das aber?

Wie erkenne ich, was ich nicht erkenne?

Das klingt paradox und unmöglich. Trotzdem gibt es aber Wege – schnelle und etwas langsamere.

Der schnelle, effiziente Weg wäre folgender: Du holst dir einen Coach, der genau weiß, wovon er spricht, der genau weiß, auf welche Stellen du schauen und welche Fragen du stellen musst, damit du deine blinden Flecke erkennen kannst.

Ein guter Coach sagt dir nicht einfach, was du zu tun hast. Sondern er versucht, dich über Fragen auf deine blinden Flecke hinzuweisen und über Fragen dann eben auch auf eine Lösung zu bringen. Das ist zweifelsohne der schnellste und effizienteste Weg – auch im Zeit- und Selbstmanagement.

Wenn du das nicht willst, kannst du auch versuchen, deine eigenen blinden Flecke selbst herauszufinden. Einfach ist es nicht. Je nachdem, welche Leute du um dich hast, kannst du jemanden fragen, ob er was sieht, das du nicht siehst. Oder du kannst selbst durch schlaue Fragen versuchen, deinen blinden Flecken auf die Spur zu kommen. Da gibt es viele Strategien, ich will dir zwei davon vorstellen: das Rückwärtsdenken und Was-wäre-wenn-Fragen.

Wie funktioniert das Rückwärtsdenken?

Charlie Munger, der Businesspartner von Warren Buffett, hat mal gesagt:

„All I want to know is where I’m going to die, so I’ll never go there.“
(Alles was ich wissen möchte, ist, wo ich sterben werde, und dann gehe ich einfach nie dorthin.)

Das klingt logisch und ist natürlich völlig absurd – von der Denke her aber alles andere als blöd. 

Ich kann Probleme vorwärts lösen, indem ich mir verschiedene Lösungsvarianten überlege. Ich kann aber auch rückwärts denken. Das bedeutet dann, dass ich das Gegenteil annehme, mir überlege, was ich tun müsste, um das Gegenteil zu erreichen, und das dann vermeide.

Diese Denkweise geht zurück auf den deutschen Mathematiker Carl Gustav Jacob Jacobi, der komplexe Probleme mit dieser einfachen Strategie gelöst hat („Man muss immer umkehren.“).

Charlie Munger teilt diese Einschätzung. Er sagt, dass viele Probleme gar nicht vorwärts gelöst werden können, weil sie einfach viel zu komplex sind, und deshalb sollten wir versuchen, sie rückwärts zu lösen.

Ein Beispiel: Wenn du in deinem Team oder in deinem Unternehmen das Thema Innovation fördern möchtest, dann könntest du zusammen mit deinen Führungskräften ein klassisches Brainstorming machen, was ihr da unternehmen könntet, um Innovation zu fördern. 

Das funktioniert, aber ihr kommt so vor allem auf Dinge, die naheliegend sind, die man eben schon sieht. Alternativ könntest du mit deinem Team überlegen, wie ihr Innovation im Unternehmen um jeden Preis verhindern könntet. Auf eurer Liste stehen dann vielleicht Dinge wie „eine extrem niedrige Fehlertoleranz haben“ oder „neue Ideen immer mit ‚ja, aber…‘ im Keim ersticken“ etc.. Jetzt könnt ihr versuchen, genau diese Dinge zu vermeiden. (Noch mehr Beispiele gibt es übrigens in der Podcastfolge weiter oben.)

Wie funktionieren Was-wäre-wenn-Fragen?

Solche Fragen bringen dich dazu, auch mal links und rechts nach Möglichkeiten zu suchen und nicht nur im gewohnten Blickwinkel. In der Regel gehen wir von üblichen Fakten aus und damit sind wir dann leider auch oft betriebsblind. 

Deshalb könntest du dir Fragen stellen wie z.B. „Was wäre, wenn ich auf eine To-Do-Liste komplett verzichten würde? Kann ich dann überhaupt noch arbeiten?“ So kommst du auf neue Antworten wie z.B. „Ja, dann würde ich mir wahrscheinlich jeden Tag überlegen, welches im Moment das wichtigste Ziel für das Unternehmen ist, und dann Dinge tun, die mich zu diesem Ziel bringen; vielleicht würde ich dann Time Blocking machen, damit ich irgendwo festhalte, wann ich was mache.“ Vielleicht kommst du so zum Schluss, dass Time Blocking genau das ist, was du brauchst. Vielleicht merkst du auch, dass du eigentlich gar keine To-do-Liste brauchst, oder das genaue Gegenteil, dass du die eben unbedingt brauchst und sie bei dir auch Sinn macht.

Anderes Beispiel: Wenn du Kleinunternehmer mit nur wenigen Mitarbeitern bist: „Was wäre, wenn ich wieder alleine arbeiten würde und den gleichen Umsatz erzielen möchte?“ Wahrscheinlich wirst du dann herausfinden, dass einige Dinge, die ihr im Moment noch macht, eigentlich Ballast sind und nicht zum Kern gehören. Diese Dinge (nicht die Mitarbeiter!) kannst du dann versuchen loszuwerden. Dann kannst du deine Zeit und die der Mitarbeiter für anderes einsetzen, für etwas, das tatsächlich eine Wirkung hat. (Weitere Beispiele auch hier in der Podcastfolge oben.)

Diese Fragen sind Gedankenspielereien, die es dir erlauben, den Blick mal etwas anders zu richten und auf neue Ideen zu kommen. Du wirst damit vielleicht den einen oder anderen blinden Fleck ausmachen können. 

Wenn du treffsicherer vorgehen möchtest, dann kommst du wahrscheinlich nicht auf einen Blick und Input von außen herum – sei es durch ein gemeinsames Brainstorming mit einem Außenstehenden oder eben einem Coach, der dir die richtigen Fragen stellt, so dass du wirklich gezielt zu deinen blinden Flecken kommst und die dann genauer beleuchten kannst.

In meinen Coachings und Workshops arbeite ich übrigens selbst sehr gerne mit diesen zwei Arten von Fragen, dem Rückwärtsdenken und den Was-wäre-wenn-Fragen.

Auf die richtigen Fragen kommt es an

Fragen sind mächtig, vor allem wenn es die richtigen Fragen sind. Sie führen nicht nur dazu, dass dir blinde Flecke bewusst werden, sondern die richtigen Fragen zielen auch auf die Orte, wo die größten Hebelwirkungen verborgen liegen. 

Ich habe mir über all die Jahre eine Liste mit über Hundert Fragen aufgebaut, die es in sich haben, die vermögen, tiefer zu schauen und Dinge gezielt zu reflektieren. Diese Liste ergänze ich laufend.

Als Führungskraft und Unternehmer bist du ein Stück weit übrigens selbst eine Art Coach – für deine Mitarbeiter und auch ein bisschen für deine Kunden. Überlege dir doch mal, wie ein solches Fragen-Arsenal bei dir aussehen könnte. Probier’s mal aus! 

ÜBER IVAN BLATTER

Ivan Blatter
Ivan Blatter

Ich bin seit 2008 Produktivitätscoach und führe meine Kunden zu mehr Selbstbestimmung und Freiheit in ihrem Business.

  • Ich helfe einerseits Solopreneuren, Selbstständigen und Unternehmern, ihr Zeit- und Selbstmanagement in den Griff zu bekommen, so dass sie mehr Freiraum haben.
  • Andererseits helfe ich meinen Kunden, über sich hinauszuwachsen, damit sie das erreichen, was sie wirklich wollen.

Mit meinem umfangreichen Blog, meinem erfolgreichen Podcast und meinem Buch "Arbeite klüger – nicht härter" habe ich schon tausenden Menschen weiterhelfen können.

Daneben helfe ich aber auch Menschen, die schnell und gezielt vorwärts kommen wollen, mit meinen Angeboten.

Immer getreu meinem Motto: Nutze deine Zeit, denn sie kommt nie wieder.